Prof. Dr. phil. Ch. Steinert & M.sc. N. Marin :
„Mind the Gap – Vom Forschen und »Heulen«“

Die im wahrsten Sinne des Wortes Freud’sche Fehlleistung, die beim ersten Niederschreiben des obigen Vortragstitels zum »Junktim« passiert ist, soll der Ausgangspunkt für ein paar Überlegungen zur Frage sein, ob es um die Sache mit dem Junktim tatsächlich »zum Heulen« bestellt ist – wobei ein Heulen im Tierreich ja vor allem der Verständigung dient, insofern ist der Ausgangspunkt vielleicht doch nicht so schlecht.
Forschen und Heilen scheinen sich heute jedenfalls in unterschiedlichen Sphären abzuspielen – und beide beäugen sich skeptisch. Nun meint der Begriff Junktim bekanntlich so etwas wie »eng verbunden«, gar »vereint« und so könnte man beim Thema »Mind the Gap« sicher ein leidenschaftliches Plädoyer für mehr Austausch zwischen »Forschung und Praxis« halten, um in der Entwicklung dieses Feldes gemeinsam voranzuschreiten. Inspiriert jedoch von der Idee, dass es beim psychoanalytischen Arbeiten zunächst um die Verflüssigung und Zersetzung eines Gegenstands statt um dessen »Trockenlegung« in Form der Herstellung irgendwelcher Resultate geht (Rugenstein, 2022), lädt der Vortrag dazu ein, sich den zerklüfteten und widerständigen Seiten, dem Morast, dem Gap, dem Abgrund zwischen Forschung und Praxis zuzuwenden. Diese »Analyse« wird an kein Ziel führen, sondern möchte das »Nicht-vereint-sein-müssen« erstmal gemeinsam erkunden. Beispiele aus zwei aktuellen Studien, die qualitative und quantitative Daten miteinander in Beziehung setzen und sowohl Stimmen von Studientherapeuten als auch von Patienten einfangen, sollen dabei zum Nachdenken und zum Austausch anregen und können vielleicht sogar ein paar neue Erkenntnisräume eröffnen. Auuuhh!

Christiane Steinert, Dr. phil. Dipl.-Psych., ist psychodynamische Psychotherapeutin (TP) und Professorin für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der IPU Berlin. Im Rahmen ihrer Forschung beschäftigt sie sich mit der Evidenzbasierung psychodynamischer Therapie anhand von klinischen Studien und Evidenzsynthesen sowie mit Manualentwicklung, Prozessforschung und qualitativen Methoden.

Nina Marin, MSc, ist psychodynamische Psychotherapeutin (TP) und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der IPU Berlin. Neben ihrer Tätigkeit in der ambulanten Patientenversorgung, befasst sie sich mit qualitativer und quantitativer Psychotherapieforschung.

Prof. Dr. phil. M. Buchholz:
„Wie kann Freud’s Junktim heute buchstabiert werden?“

Freud’s Junktim von Heilen und Forschen kann und sollte heute reformuliert werden: als institutionalisierte Zusammenarbeit von Klinikern und anderen Wissenschaftlern, von Linguisten und Literaturwissenschaftlern, von qualitativen Forschern und Gesprächsanalytikern. Dabei wird ein Befund schon mitteilbar: die Rede, dass wir die psa. Theorie „anwenden“ ist irreführend, u.a. deshalb, weil wir entscheidende Komponenten, die in der Theorie gar nicht vorkommen, praktisch beständig realisieren. Damit wird das „Wie“, die Performanz, entscheidend. Zusammen mit der Aufgabe, den Prozess, wie er naturalistisch vorkommt, so genau wie möglich, zu untersuchen. Ich möchte im Vortrag dazu illustrative Beispiele aus unseren konversationsanalytischen Studien vorstellen und einige Konsequenzen für Theorie und Ausbildung, Prozessforschung und Praxis entwickeln.

Michael Buchholz ist Lehranalytiker, Psychologe und Sozialwissenschaftler. Die neuartige Verbindung von Konversations-, Narrations- und Metaphernanalyse (KANAMA) hat eine Reihe von Studien erbracht, etwa über den therapeutischen Kontakt, über eine Gruppentherapie von Sexualstraftätern und über therapeutische Situationsgestalten. Eine mehr als 7-jährige Zusammenarbeit mit Vertretern der Linguistik, der Tanzwissenschaft und der philosophischen Anthropologie von seiten der FU (Berlin) resultierte in zahlreichen international sichtbaren Arbeiten und schließlich, zusammen mit seinen ehemaligen Doktoranden (von denen zwei mit „summa“ In Freiburg und Hannover promoviert werden konnten) zur Gründung des ersten An-Instituts an der IPU mit dem Namen „Junktim“. Er ist dessen Leiter und an der IPU nach mehr als 10jähriger Professur für Sozialpsychologie zugleich „Seniorprofessor“.

Dr. med. Th. Pollack:
„Zum Verhältnis von Psychoanalyse und universitärer Wissenschaft. Anmerkungen aus der Sicht eines Klinikers“

Einleitend diskutiert Pollak den wissenschaftlichen Charakter der Psychoanalyse. In der Folge thematisiert er die große Kluft, die nach wie vor zwischen der universitären Forschung und der psychoanalytischen Praxis besteht. Dabei nimmt er einerseits das „Vereinsleben“ der Psychoanalytiker kritisch unter die Lupe, erörtert andererseits, wieweit universitäre Forschung eingeschränkt sein könnte durch einen impliziten Auftrag, einer wissenschaftlichen und gesundheitspolitischen Rechtfertigung klinischer Praxis zu dienen. Abschließend berichtet der Autor über Forschungen, die ihn in seiner klinischen Tätigkeit bereichert haben.

Thomas Pollak, Dr. med., Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie sowie für Psychiatrie und Psychotherapie. Psychoanalytiker (DPV, DGPT, IPA), niedergelassen in Frankfurt am Main, Lehranalytiker am Frankfurter Psychoanalytischen Institut. Publikationen zu klinischen Themen, zur Ausbildung und zur Profession des Psychoanalytikers.

Professor Dr. med. J. Kruse:
„Mangelnde Akzeptanz oder ungenügende Relevanz für den Einzelfall? – Zum GAP zwischen Psychotherapieforschung und psychotherapeutischer Praxis“

Im vergangenen Jahr hat die Psychotherapie-Outcome-Forschung die Effekte der psychodynamischen Psychotherapie aufgezeigt. Die Ergebnisse finden Eingang in Leitlinienprozesse und gewährleisten die Evidenzbasierung des psychotherapeutischen Handelns in der psychodynamischen Psychotherapie. Die Psychotherapieprozessforschung hat Wirkfaktoren identifiziert, die zentrale Wirkmechanismen der psychodynamischen Psychotherapie aufzeigen. Entwicklungspsychologische und entwicklungspathologische Studien verbreitern unser Wissen über die Entwicklung psychischer und psychosomatischer Störungen. Doch dieses Wissen findet anscheinend nicht ausreichend Eingang in die therapeutische Praxis. Dies ist einerseits bedingt durch die methodischen Notwendigkeiten, die eine randomisiert kontrollierte Studie und definierte Studienbedingungen mit sich bringen. Insbesondere die strikte Orientierung an den klassifikatorischen Diagnosemodellen im Bereich der Forschung erweist sich hier als problematisch. Andererseits erweisen sich insbesondere die ambulanten Versorgungsstrukturen als nur langsam veränderbar. Diese Problematik soll sowohl aus der Perspektive der Forscher, wie auch aus der Perspektive der Kliniker im Vortrag beleuchtet werden.

Johannes Kruse, Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie und Ärztlicher Direktor der Kliniken für Psychosomatik und Psychotherapie, Universitätsklinikum Gießen und Marburg. Forschungsschwerpunkte sind Psychische Störungen bei körperlichen Erkrankungen, Klinische Studien, Psychotraumatologie, Somatoforme Störungen und Versorgungsforschung. Er ist Past-Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie (DGPM), Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie seit 2015, Mitglied der AG „Ärztliche Psychotherapie“ der Bundesärztekammer, Sprecher der STÄKO „ärztliche Psychotherapie“ und Leiter der AG „Psychische Gesundheit“ des Gemeinsamen Landesgremiums Hessen 

Prof. Dr. phil. S. Döll-Hentschker & PD Dr. phil. D. Angeloch:
Schreibwerkstatt: Vom Schreiben bis zum Abdruck eines wissenschaftlichen Textes

Einen Text zu veröffentlichen ist meist ein langwieriger Prozess, der immer wieder Frustrationstoleranz abverlangt und gerade für Anfänger in diesem Bereich schwer einzuschätzen und mit zahlreichen Hemmschwellen belegt ist. In der Schreibwerkstatt werden typische Fragen an diesen Prozess, Probleme von und in Texten, Fragen der Einreichung und Begutachtung mit Peer Review-Verfahren sowie alles Weitere in der und um die Zeitschrift vorgestellt und besprochen. Willkommen sind alle, die planen oder bereits begonnen haben zu schreiben oder bereits Texte geschrieben haben, Texte lesen und an Texten arbeiten und einen Blick in den Maschinenraum der Zeitschrift werfen möchten. Gerne nehmen wir auch vorab Manuskripte entgegen, die in der Schreibwerkstatt besprochen werden können. Bei Interesse an einer Manuskripteinsendung nehmen Sie bitte vorab, möglichst bis 15.09., Kontakt mit uns auf.

Susanne Döll-Hentschker, Dipl.-Psych. & Dipl.-Soz., Prof. Dr. phil., Professur für Klinische Psychologie und Psychotherapie, Frankfurt University of Applied Sciences, Psychoanalytikerin in eigener Praxis (hälftig) in Offenbach. Seit 2015 eine der Herausgeberinnen der Psyche, seit 2021 leitende Herausgeberin. Letzte Veröffentlichungen: zusammen mit Birgit Gaertner 2021 Zur Aktualität psychoanalytischer Sozialarbeit. Psyche – Z Psychoanal,; 2022 Der vorweggenommene Einwand. In: T. Nolte & K. Rugenstein (Hrsg.), 365 x Freud. Ein Lesebuch für jeden Tag; 2022 Aber es bleiben Narben. Traumatisierung als Prozess. Jahresbericht 2021 Frauennotruf Frankfurt, 7-11; 2020  Eifersucht – aus verschiedenen Perspektiven betrachtet. Psyche – Z Psychoanal.
Weitere Informationen unter https://www.frankfurt-university.de/de/hochschule/fachbereich-4-soziale-arbeit-gesundheit/kontakt/professor-innen/susanne-doll-hentschker/

Dominic Angeloch, Priv.-Doz. Dr. phil., leitet die Redaktion der Psyche und ist Privatdozent für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Goethe-Universität Frankfurt/M.; Studium der Philosophie, Romanistik und Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft in Heidelberg, Paris und Berlin. Promotionsstudium in Bielefeld und München. Promotion an der LMU München mit einer Arbeit zur Methodik psychoanalytischer Ästhetik und Gustave Flaubert: Die Beziehung zwischen Text und Leser. Grundlagen und Methodik psychoanalytischen Lesens. Mit einer Lektüre von Flauberts »Éducation sentimentale« (Gießen 2014); Habilitation 2020 an der Goethe-Universität Frankfurt/M. Das erste von zwei Büchern aus diesem Zusammenhang: Die Wahrheit schreiben. George Orwell: Entwicklung und Methode seines Erzählens (Berlin 2022). 2023 erscheint ein Buch zu Bions autobiographischen und literarischen Werken: Das Zerstörte Erzählen. Wilfred Bions Erkenntnispoetik und die Erfahrung des Ersten Weltkriegs (Darmstadt 2023). Im Herbst 2023 erscheint außerdem: Die Realität hinter der Realität. Verschwörungsdenken als moderne Denkform (Marburg 2023)
Weitere Informationen zu Publikationen und Tätigkeiten zu finden unter: https://www.uni-frankfurt.de/85325555/PD_Dr__Dominic_Angeloch

Prof. Dr. rer.nat. Susanne Singer:
Workshop „Längsschnittdaten effizienter nutzen“

In Längsschnittstudien kommt es typischerweise dazu, dass im Verlauf der Zeit immer mehr Teilnehmende wegfallen. Die Gründe dafür sind vielfältig: Menschen haben keine Lust mehr mitzumachen, sie ziehen um und man kann die neue Adresse nicht mehr herausfinden oder sie versterben.
Manche Forscher*innen gehen damit so um, dass sie nur die Daten der Personen auswerten, von denen sie zu allen Zeitpunkten Angaben erhoben haben. Dieses Vorgehen hat einen hohen Preis: man verliert Power und erhöht die Gefahr von Selektionsbias.
Es gibt jedoch Möglichkeiten, die vorhandenen Daten besser auszunutzen und validere Ergebnisse zu erzielen. Eine davon ist die Poisson-Regression.
Diese Methode sowie die Wirkungen ihrer Anwendung möchte ich gern anhand eines realen Beispiels aus der Forschungspraxis in dem Workshop demonstrieren. Ich werde außerdem grundlegendes Wissen für die Durchführung einer Poisson-Regression vermitteln.
Dauer: 5 Stunden
Teilnehmerzahl: min 2, max 20
Voraussetzungen: Grundkenntnisse in STATA, SAS oder SPSS

Susanne Singer ist Psychologin, Epidemiologin, Psychotherapeutin und Psychoanalytikerin. Sie unterrichtet seit 2012 im Internationalen Masterstudiengang Epidemiologie in Mainz, unter anderem Einheiten zur Poisson-Regression, und möchte ihr Wissen gern an Nicht-Epidemiolog*innen weitergeben, damit diese die Vorzüge dieser Methode noch besser und öfter nutzen können. Susanne Singer hat bisher für ihre Lehrtätigkeit zwei Lehrpreise erhalten, den der Bergischen Universität Wuppertal und den der Deutschen Gesellschaft für Epidemiologie.